Vor ungefähr zweieinhalb Jahren haben wir unser Kommunikationsverhalten in der Agentur umgekrempelt und vor einem Jahr noch einmal grundlegend renoviert. Warum direkte Kommunikation ein Segen ist.
Nach der zehnten Antwort in einem Empfängerkreis von nicht wenig Projektbeteiligten wird das Dilemma des Kommunikationsweges E-Mail besonders deutlich. Weil man nicht in jeden Schritt involviert war, scrollt man 30 Sekunden in der Preview Pane rauf und runter, um Zusammenhänge zu verstehen. Und stellt fest, dass irgendwer irgendwann im Laufe des Weges eventuell vergessen hat, auf “Reply All” zu klicken und damit die Runde auf identischem Stand zu halten.
Fakt ist: Eine Suche nach spezifischen Infos in so einer E-Mail-Strecke kann dauern. Und dass man findet, was man sucht, ist überhaupt nicht garantiert. Um Ostern rum ist es vielleicht aus offensichtlichen Gründen irgendwie lustig nach digitalen Eiern zu suchen aber sinnvoll ist es nicht.
Noch schlimmer: Geschäftliche Kommunikation, bei der eine Mail zu einem Thema für ein ganz anderes missbraucht wird. Dann fehlt das Keyword oder das Keyword passt nicht zu den Betreffzeilen der Mails. Und obwohl die Information ja definitiv irgendwo steht, findet man sie nicht.KundInnen und KollegInnen, alle erwarten ja völlig zurecht, dass wir in Bezug auf Thema XY auf aktuellem Stand sind. Und Aufgaben ordentlich nachhalten. Aber wie soll das gehen mit oben genannten Hindernissen?
Mit E-Mail jedenfalls nicht. Man kann seinem volatilen Umfeld ja gar nicht zumuten, dass es Regeln befolgt, die nirgends stehen. Generell hätte man schon misstrauisch werden sollen, als E-Mail-Clients anfingen, Strukturen mit Labels oder Ordnern anzubieten. Wie soll man seinem Umfeld beibringen, dass jede E-Mail einen vernünftigen Betreff braucht, unmittelbar zu beantworten sein sollte und komplexere Sachverhalte wie einst besser telefonisch geklärt werden können? E-Mails stellen vor vollendete Tatsachen. Da ist sie nun in meinem Postfach, bold für “ungelesen”, regular für “gelesen”. Kann ich nicht direkt antworten, markiere ich sie als “ungelesen”, verschiebe sie in einen Ordner “2DO” oder mache mir einen Kalendereintrag.
Bestimmte Stellen im Unternehmen sind on top prädestiniert, theoretisch den ganzen Tag E-Mails zu schreiben und zu beantworten. Und wenn diese Stellen dann auch noch eine ganze andere Aufgabe haben - klassisches Arbeiten - dann gute Nacht. “E-Mail-Kommunikation” steht bei uns in keinem Arbeitsvertrag. Sollte sie aber, wenn man den zeitlichen Anteil dieser Teilaufgabe am kompletten Arbeitsvolumen sieht.
Wenigstens melden sich die afrikanischen Anwälte, die ein Vermögen von 50 Millionen US $ auf unser Konto überweisen wollen, jetzt über andere Kanäle. Oder die ganzen anderen, die zig Erfolgsformeln verkaufen, nutzen Mails auch eher weniger. Weil es definitiv Erfolg verprechendere Kanäle gibt. “Newsletter” steht auch nur noch selten in unseren Treatments für Kommunikationsstrecken. Liest ja keiner. Headhunter wollen unsere Mitarbeiter nur noch über LinkedIn zu einer besseren Stelle überreden, Mails, die man ja ins digitale Nirvana filtern kann, schreiben nur noch die Konservativsten. Dennoch: E-Mails, die von außen kommen, gibt es immer noch genug. Und diese sind schwer oder gar nicht zu koordinieren.
Aber wenigstens an der internen Kommunikation kann man enorm schrauben. Mit der Zielsetzung, Kommunikation zu entwirren, haben wir interne Korrespondenz per E-Mail ganz einfach untersagt - oder anders - umpriorisiert. Verboten ist hier nix aber jeder hat es sofort angenommen. Teamverteiler haben wir nicht mehr im Angebot.
Intern wird nur noch über ein Chat-Tool kommuniziert und im Laufe der Zeit konnten wir den ein oder anderen Kunden überzeugen, den Weg mitzugehen. Wer einmal gesehen hat, wie unmittelbar dort Kommunikation funktioniert, will das nicht mehr missen. KundInnen- oder Projektordner mit Need-2-Know-Teilnehmern bieten jede zum Projekt gehörende Information auf einen Blick. Themenbezogene Ordner helfen den NutzerInnen, für sich selbst vorzusortieren und Wichtigkeiten einzuschätzen. Keiner im Projekt ist außen vor, diejenigen, die nichts damit zu tun haben, bekommen auch nichts mit. Strukturen werden tatsächlich “mal eben” von der Projektleitung angelegt, der SysAdmin muss sich nicht um komplexe Rechtestrukturen kümmern. Und wird mal jemand vergessen, wird eingeladen. Der Chatverlauf ist dann sofort sichtbar.
Der logische Folgeschritt war die Einführung eines dedizierten Audio-Chats, auf dem direkt und ohne Terminabstimmung in allen erdenklichen Konstellationen gesprochen werden kann. Eigentlich das Pondon zum "Durchs-Büro-Brüllen", nur dass man keinen stört, den es gerade nicht interessiert.
Virtuelle Meetingräume ersetzen Besprechungsraum 1 und 2 und erlauben Fach- und Projektgespräche und vor allem Diskussionen. So im Vorbeigehen hat sich mit dieser internen Kommunikationsstrategie auch noch die Präsenzpflicht mehr oder weniger erledigt, was in pandemischen Zeiten natürlich einiges Wert ist. Wir akzeptieren durch die Bank, dass wir weg vom Nine-to-five sind, dafür wird aber auch berücksichtigt, dass Herausforderungen wie Homeschooling, Kinder- oder Elternbetreuung irgendwie gewuppt werden müssen und ein Schritt dahin ist die Kanalisierung der Kommunikation. Wir haben alle ein Privatleben. Und je sortierter das in diesen Zeiten funktioniert, desto entspannter wird gearbeitet.